2014-02-13-Straubhaar

HWWI-Direktor Straubhaar kritisiert die Personalpolitik der Unternehmen – Frauen, Ältere und Migranten bieten Potenzial

Prof. Dr. Thomas Straubhaar (56) ist Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (Foto:Stephan Limberg BIS für Netzwerk SWW)

Sie halten den vielfach beklagten Mangel an Fachkräften für ein Phantom. Warum?

Weil es mehr als genug ungenutzte Potenziale in Deutschland gibt. Sie finden sich bei Frauen, die nicht entsprechend ihrer Qualifikationen dem Arbeitsmarkt vollzeitlich zur Verfügung stehen, bei Älteren, die viel zu früh aus dem Erwerbsleben ausscheiden, bei Jüngeren, die zu wenig rasch eine der Ausbildung adäquate Beschäftigung finden und vor allem bei Menschen mit Migrationshintergrund, die – bei gleichen Fähigkeiten und Ausbildungsgängen – immer noch deutlich weniger häufig in Fach- und Führungsfunktionen zu finden sind als ihre deutschen Kollegen.

Ihre Kollegen vom Institut der deutschen Wirtschaft haben einen akuten Mangel an Fachkräften in mehr als 100 von 580 untersuchten Berufen festgestellt, vor allem in vielen technischen Berufen und im Gesundheitsbereich. Da kann man doch schlecht von einer Phantomdebatte sprechen, oder?

Ja, natürlich verstehe ich, auf welche Mängel die Kollegen hinweisen wollen und sicher ist richtig, dass heute weniger Jüngere bereitstehen, um Ältere und aus dem Erwerbsleben ausscheidende Beschäftigte zu ersetzen. Aber es zeigt sich eben auch, dass die Arbeitgeber glauben, mit den Methoden des letzten Jahrhunderts noch attraktiv zu sein für die Potenziale der Gegenwart. Aber das funktioniert eben nicht mehr. Da muss umgedacht werden.

Sie zählen ältere Arbeitnehmer zum Reservoir möglicher Fachkräfte – viele Menschen wollten bis 67 oder darüber hinaus arbeiten. Das deckt sich nicht ganz mit der heftigen Kritik an der Rente mit 67 und der großen Zustimmung in der Bevölkerung zu den Rentenplänen der großen Koalition. Woher rührt Ihr Optimismus?

Aus der empirischen Beobachtung, dass sehr wohl viele Menschen länger arbeiten wollen, wenn alles stimmt – von der Bezahlung bis zur Flexibilität der Gestaltung der Arbeitszeit. Arbeit im Alter ist eben nicht nur Pein. Sie bringt auch Genugtuung, Anerkennung, soziale Kontakte und das Gefühl, gebraucht zu werden. Deshalb ist s für viele Menschen nicht eine Tortur, sondern ein Wunsch, bis 67 oder darüber hinaus zu arbeiten.

Auch bei Zuwanderern sehen Sie viel ungenutztes Potenzial. Zuwanderung aber ist ein heikles Thema – siehe die Volksabstimmung in der Schweiz, die in Deutschland wohl ähnlich ausgehen würde. Warum setzen Sie trotzdem auf Zuwanderer?

Selbst wenn einzelne Einheimische der Migration wegen unter Druck kommen oder in Ballungsräumen die Miete steigen sollte, zeigen die meisten empirischen Studien, dass für die Gesamtwirtschaft Zuwanderung in der Regel nicht die Ursache, sondern eine Hilfe zur Lösung von Problemen ist. Das gilt besonders für den Fachkräftemangel.

Was können die Unternehmen gegen den Facharbeitermangel tun?

Seitens der Unternehmen gilt es, Arbeitszeiten und Arbeitseinsätze so zu flexibilisieren, dass Ältere und Frauen bessere Chancen haben, Fach- und Führungsaufgaben zu übernehmen. So oder so wären Unternehmen gut beraten, veraltete historisch geprägte Führungsstrukturen zu überdenken und Rollenbilder von Arbeit, Beruf und Familie durch zeitgerechte der heutigen Wirklichkeit entsprechende Verhaltensweisen zu ersetzen. Gerade mittelständische (Familien-)Betriebe haben dabei die riesige Chance, besser und schneller als schwerfälligere Großkonzerne zu reagieren. Sie können mit maßgeschneiderten Lösungen dem Einzelfall Rechnung tragen und so die Frauen- Power, die Lebenserfahrung Älterer und die kulturellen und sprachlichen Kompetenzen der Deutschen mit Migrationshintergrund weit besser nutzen, als es bis dahin der Fall war.

»Die Arbeitgeber glauben, mit den Methoden des letzten Jahrhunderts noch attraktiv zu sein für die Potenziale der Gegenwart.« THOMAS STRAUBHAAR

Zur Person: Prof. Dr. Thomas Straubhaar (56) ist Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI).

Nordsee-Zeitung 13.02.2014

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